Rachitis bei Reptilien
Rachitis ist eine der häufigsten Erkrankung bei in menschlicher Obhut gehaltenen Reptilien. Meist sind Haltungsfehler der Grund für dieses nicht selten tödlich verlaufende Problem.
Was ist Rachitis?
Rachitis ist eine klassische Jungtiererkrankung. Bei dieser Erkrankung kommt es während des Wachstums zu unzureichender Mineralisierung der wachsenden Knochen. Die Knochen werden weich und an manchen Stellen dicker, weil der Körper wie bei einem Knochenbruch eine Stabilisierung über vermehrte Bildung von organischer Knochengrundsubstanz erreichen möchte. Die langen Röhrenknochen werden meist krumm, weil die Muskeln an ihren Ansätzen den weichen Knochen in ihre Richtung ziehen. Die Tiere wollen sich nicht mehr bewegen, weil die Knochen schmerzen und jeder Schritt zur Qual wird. Auch fressen können sie nicht mehr, denn der Kiefer wird ebenfalls weich („Gummikiefer“). Im Endstadium wird der Unterkiefer an der Spitze von den Muskeln nah unten gezogen. Das Zungenbein, ein knöcherner Zungenhalteapparat, wird weich, so dass die Zunge nicht mehr richtig bewegt werden kann. Dadurch kann die Nahrung im Mund nicht mehr weitertransportiert werden, Chamäleons können, nicht mehr mit ihrer Zunge Futtertiere schießen.
Die Tiere sterben letztlich aus verschiedenen Gründen. Einerseits, weil sie kein Futter mehr aufnehmen können. Andererseits ist Thermoregulation nicht mehr möglich, weil die Tiere auch nicht mehr laufen können um Wärmequellen aufzusuchen oder zu meiden. Weiterhin bricht der geschwächte Körper immunologisch zusammen, so dass sekundäre Infekte zu Lungenentzündung oder Sepsis führen. Finale Muskelschwäche kann letztlich in Herzversagen münden.
Die Grundlagen des Knochenstoffwechsels
Knochen besteht aus einer organischen Grundsubstanz, in die zur Stabilisierung Mineralstoffe eingelagert werden. Er ist ein lebendiges Gewebe, das steten Erneuerungen unterliegt. Osteoblasten bauen neues Knochengrundmaterial auf, Osteoklasten bauen Knochengrundsubstanz ab. Im Wachstum sind vor allem Osteoblasten aktiv, weil im Wachstum ja die Knochenmasse zunimmt.
Vitamin D3 ist ein Hormon, das für den Einbau der Mineralstoffe in die organische Grundsubstanz des Knochens verantwortlich ist. Auch verbessert es die Aufnahme von Kalzium aus dem Darm. Vitamin D3 ist ein fettlösliches Vitamin, das entweder über die Nahrung aufgenommen oder bei UV-B-Bestrahlung in der Haut gebildet werden kann. Die Vorstufen dieses Vitamins werden in Leber und Niere zur aktiven Form umgewandelt. Das Vitamin kann in der Leber gespeichert werden. Eine Studie an Chamäleons hat gezeigt, dass das über die Nahrung verabreichte Vitamin D unter UV-Bestrahlung besser als Depot in die Leber eingelagert wird. Als fettlösliches Vitamin kann Vitamin D3 überdosiert werden.
Die für den Knochenbau nötigen Mineralstoffe werden in erster Linie im Darm aus der Nahrung aufgenommen. Kalzium ist im Knochenstoffwechsel der wichtigste Mineralstoff. Im Körper steht Kalzium immer in einem festen Verhältnis zu Phosphor, nämlich 2:1. Wird mit der Nahrung zu wenig Kalzium aufgenommen, so dass sich das Kalzium-Phosphor-Verhältnis (Ca-P-Verhältnis) verschiebt, gibt die Nebenschilddrüse ein Hormon ab, das Parat-
hormon, das für die Regulierung des Ca-P-Verhältnisses verantwortlich ist. Die Lösung für das Problem liegt dann in einer vermehrten Wiederaufnahme von Kalzium und einer vermehrten Phosphat-Ausscheidung in der Niere sowie in einer Freisetzung des in den Knochen gespeicherten Kalziums.
Wie entsteht Rachitis?
Entsprechend den Grundlagen des Knochenstoffwechsels kann Rachitis ihre Ursache an mehreren Stellen haben.
Ein Hauptgrund ist eine mangelnde Kalziumversorgung. Für Reptilien gibt es fast kein Fertigfutter. In der Regel stellen Terrarianer die Nahrung für ihre Pfleglinge selbst zusammen. Nun ist Ernährung bei vielen Tierarten eine Wissenschaft für sich, die viele Fehlerquellen zulässt. Ein zu geringer Kalziumgehalt auf Grund einseitiger Rationsgestaltung ist nicht nur bei Anfängern ein regelmäßiges Problem. In den letzten 10 bis 20 Jahren haben die Erkenntnisse über Reptilienernährung rasant zuge-
nommen. Dadurch kann auch ein routinierter Terrarianer durch Literaturstudien immer wieder neue Erkenntnisse gewinnen.
Vitamin D kann durch Nahrungsergänzugsfuttermittel zugesetzt werden. Problematisch ist, dass man keine wirklich genauen Bedarfsmengen für Reptilien kennt und andererseits Vitamin D überdosiert werden kann. Sicherer und gesünder ist daher die Versorgung der Reptilien mit adäquatem UV-Licht, damit der Körper selbst so viel Vitamin D 3 produzieren kann, wie er braucht.
Das nächste Problem ist ein unausgewogenes Ca-P-Verhältnis. Nachdem es sich herumgesprochen hat, dass Kalzium supplementiert werden muss, gibt es viele Ergänzungsfuttermittel, die ordentlich Kalzium und Vitamin D enthalten – viel hilft viel! Was aber bei diesen Mischungen fehlt, ist der Phosphoranteil, denn Kalzium und Phosphor sind ja im Körper in einem festen Mengenverhältnis zusammen. Um den Blutkalziumspiegel zu senken, wird einerseits Kalzium von den Osteoblasten in den Knochen eingelagert, andererseits wird das überschüssige Kalzium auch in die Muskulatur und die großen Gefäße eingelagert, um den Blutkalziumspiegel zu senken. Auch dies kann letztlich tödlich enden. Eine langfristig vermehrte Calciumausscheidung über die Niere kann zu Nieren- und bei Reptilien mit einer Harnblase (Schildkröten, manche Echsen) auch zu Blasensteinen führen (Calciumocalat oder Calicifizierte Uratschlacken).
Selbst bei optimaler Versorgung über die Nahrung kann es jedoch zu Rachitis kommen. Ein wichtiger Grund ist die Darmgesundheit. Kommt es durch Abwehrschwäche oder suboptimales Temperaturmanagement zu einer Verschiebung des Mikrokrobioms im Darm oder zu einer parasitenbedingten Schädigung der Darmwand, kann es auch bei ausreichender Versorgung zu einer verminderten Aufnahme von Kalium im Darm mit nachfolgendem Kalziummangel kommen. Alternativ können Nierenerkrankungen eine Rolle spielen, denn in der Niere wird zum einen Vitamin D aktiviert, zum anderen wird hier die Ausscheidungs- bzw. Wiederaufnahmemenge von Kalzium und Phosphor reguliert. Nierenerkrankungen bei Jungtier können angeboren sein, aber auch durch Fehlernährung, bakterielle und virale Infektionen oder Besiedelung der Niere mit Geißeltierchen (Flagellaten, v.a. Hexamiten) entstehen. Hexamiten und Picorna-Viren können bei Jungschildkröten den Panzer binnen weniger Tage puddingweich werden lassen.
Was passiert bei diesem Krankheitsgeschehen?
Sowohl der absolute Kalziummangel bei fehlender Versorgung über die Ernährung oder reduzierter Aufnahme über den Darm als auch der relative Kalziummangel bei Phosphor-Überversorgung sowie UV-Licht- und Vitamin-D3-Mangel haben alle den gleichen Effekt: früher oder später wird es zu einer Freisetzung von Kalzium aus den Knochen kommen. Durch das Mobilisieren der Kalziumreserven kommt es zu einer fortschreitenden Entmineralisierung der Knochen, sie werden weich und schmerzhaft, sind bruchempfindlich und neigen dazu, sich durch Muskelzug zu verbiegen.
Parallel dazu versucht der Knochen durch örtliche Verdickung einen gewissen Stabilitätsausgleich zu schaffen. Dies führt bei Echsen zu verdickten Unterkieferästen, bei Grünen Leguanen oft zu Auftreibungen der Oberschenkelknochen. Bei Schildkröten ist die klassische Folge die berüchtigte Höckerbildung.
Im weiteren Krankheitsverlauf werden die Knochen so weich, dass sie der Schwerkraft folgen. Die langen Röhrenknochen der Gliedmaßen biegen sich durch, der Schwanz passt sich flach dem Bogen an, die Panzer der Schildkröten werden flach wie Pfannkuchen oder bilden hutkrempenartige Formen. Bei Jemenchamäleons kommt es zum Verbiegen des Helms, bei vielen Echsen zu wellenartigen Verbiegungen der Wirbelsäule, insbesondere im Schwanzbereich. Diese Deformationen bleiben auch nach Ausheilen der Erkrankung bestehen, die Tiere sind lebenslang bewegungsein-
geschränkt bis schwer behindert.
Wenn die Knochen entmineralisiert sind und die Situation weiter unbehandelt fortbesteht, kann letztlich auch der Blutkalziumspiegel vom Körper nicht mehr aufrechterhalten werden. Damit kommt es zu Folgen, die den gesamten Körper betreffen. Einerseits entsteht eine Muskelschwäche, da Kalzium für die Muskelarbeit essentiell ist. Letztlich kommt es im Endstadium – wenn nicht Sekundärinfektionen den Ablauf frühzeitig beendet haben – zum Herzversagen, denn auch das Herz ist letztlich ein arbeitender Muskel.
Diagnostisches Vorgehen beim Tierarzt
Es sind verschiedene Symptome, warum ein betroffenes Tier beim Tierarzt vorgestellt wird. Manchmal fällt dem Halter auf, dass die Tiere einfach weniger aktiv sind als normal. Reduzierte Futteraufnahme und beim Chamäleon insbesondere das Unvermögen mit der Zunge zu schießen, werden auch oft genannt. Nicht selten ist Rachitis ein reiner Zufallsbefund gerade bei Anfängern der Terraristik, denen der Vergleich fehlt, die ihr Tier nicht anfassen, weil in vielen Büchern von einem Handling abgeraten wird. Deshalb ist es auch wichtig, einen reptilienkompetenten Tierarzt zu suchen. Denn nur mit den richtigen Vorkenntnissen wird er schon im Vorbericht heraushören, dass Rachitis eine Option sein könnte. Nur mit Erfahrung kann man frühzeitig erkennen, ob ein Schildkrötenpanzer zu weich oder noch altersgemäß ist. In der Praxis wird das Tier dann gründlich untersucht. Primär fällt eine zu geringe Körperspannung auf. Der Tastbefund insbesondere im Bereich des Unterkiefers („Gummikiefer“) und bei Schildkröten des Panzers bestätigt den Verdacht. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Kotuntersuchung, um Parasiten als mögliche Ursache auszuschließen bzw. gezielt behandeln zu können. Eine Urinuntersuchung zur Suche nach Flagellaten ist empfehlenswert. Eine Blutuntersuchung kann einerseits zeigen, ob schon der Blut-Kalziumspiegel erniedrigt ist bzw. ob das Ca-P-Verhältnis noch aufrechterhalten werden konnte. Andererseits können in diesem Zusammenhang auch Werte zur Abklärung einer Nierenfunktionsstörung überprüft werden. Auf Röntgenbildern kann der Tierarzt gut die entmineralisierten Knochen darstellen, vor allem aber auch nach Primär- und Sekundärproblemen suchen wie Verstopfung, Lungenentzündung usw.
Therapie der Rachitis
Ist die Diagnose gestellt, wird schnellstmöglich mit der Therapie begonnen. Wohldosierte Kalzium-Injektionen und Vitamin-D-Gaben versorgen den Körper initial. Eine Adäquate UV-Bestrahlung ist das A und O. Vorsichtige Zwangsernährung mit Zusatz von Sepia-Pulver folgt. Liegen bereits Beinbrüche vor, müssen diese vorsichtig geschient werden. Bestehen Sekundärinfektionen muss Antibiotikum gegeben werden, wenn nicht, sollte die körpereigene Abwehr stimuliert werden. Ist das Tier im Allgemeinbefinden stabiler, werden die Parasiten angegangen.
Sind jugendliche Weibchen durch energetische Überversorgung und Vergesellschaftung mit balzenden Männchen schon tragend, sollten die Eier mittels Wehenmittel oder Operation entfernt werden, da sonst jegliches verabreichte Kalzium in die Eierschalen statt in das Skelettsystem eingebaut wird.
Ist der Patient über den Berg oder werden noch weitere Tiere gepflegt, ist eine ausführliche Haltungsberatung unentbehrlich. Besonderen Wert wird der Tierarzt auf die Temperaturzonen, die richtige UV-Versorgung und eine artgerechte Fütterung legen. Die Fütterung sollte sich so nah wie möglich an den natürlichen Futtergepflogenheiten orientieren. Fehlende Mineralstoffquellen sind gang und gäbe, sei es die Fütterung von Salat statt Wildkräutern bei Pflanzenfressern, die Gabe von Insekten ohne Bepuderung mit Sepiapulver oder die Verfütterung von wenig mineralisierten Jungmäusen statt adulter Tiere.
Oft zeigt sich in den ersten Tagen, ob der schuppige Patient die Kurve kriegt oder nicht. Wird unter der Therapie binnen Wochen der Knochen langsam stabiler, kann bei stark eingefallenen Schildkröten noch versucht werden, Eingangs- und Ausgangs-
öffnung des Panzers mit Spreizkonstruktionen ausreichend weit zu halten, damit die Tiere später fressen und auch Eier ablegen können. Auch kann versucht werden, den Bauchpanzer flächig aufzubocken, damit die Beine und der Schwanz nicht ganz so krumm aushärten und das Tierchen die nächsten 80 Jahre halbwegs vernünftig laufen kann. Ein Schienen von Beinen bei Echsen ist eher gefährlich, weil durch das Gewicht des Verbandes der Knochen oberhalb des Verbandes leicht brechen kann. Ist die Rachitis letztlich aber ausgeheilt, ist die Prognose für ein langes Reptilienleben – sofern kein Nierenschaden vorliegt – gut.
Die wichtigsten Prophylaxemaßnahmen
Auch wenn die Rachitis ausheilt, bleiben oft Knochendeformationen übrig, die teilweise das Tier sehr einschränken, manchmal auch nur optisch unschön sind. Auch können lebenslange Nierenprobleme als Spätfolge übrig bleiben. Um dem Tier dies alles zu ersparen, ist eine Prophylaxe extrem wichtig.
Zum einen sollte man sich vor dem Kauf eines Reptils über deren Haltungsansprüche informieren. Habe ich Zeit und Lust, ein optimales Terrarium einzurichten und mich mit Beleuchtung zu beschäftigen? Habe ich einen Garten, um Landschildkröten im Sommer mit entsprechender technischer Ausrüstung die essentielle Freilandhaltung zu ermöglichen?
Jeder Neukauf sollte zuerst in einem Quarantäneterrarium gehalten werden. In dieser Zeit sollte mindestens zweimal von einem Spezialisten Kot untersucht werden, denn noch kann man die Parasiten behandeln, ohne sein ganzes Terrarium verseucht zu haben.
Wenn man das Tier bei einem Züchter kauft, können sehr viele wertvolle Informationen mitgegeben werden. Das Studium von Fachbüchern sowie das vergleichende Lesen von Forumsbeiträgen wird dieses Basiswissen stetig erweitern. Wenn man zu viele widersprüchliche Informationen erhält, kann man diese bei einem Check up-Termin beim reptilienerfahrenen Tierarzt ausdiskutieren. Oftmals gibt es auch in der Nähe „Reptilien-Stammtische“, bei denen man mit anderen Haltern ins Gespräch kommen und sich austauschen kann.
Wichtig ist auch eine gute Beobachtung des Pfleglings, um möglichst frühzeitig die dezenten Krankheitssymptome zu erkennen. Und auch, wenn Reptilien eher keine Streicheltiere sind, sollten die meisten gängigen Arten gelegentlich mal in die Hand genommen werden, um sie auch einmal von unten zu betrachten und ein Gefühl dafür zu erhalten, wie sich das Tier in gesunden Zustand anfühlt.
Reptilien sind sehr urtümliche Tiere, die wenig Zeit, aber viel Know-how bei ihrer Pflege brauchen. Sie können viele Dinge ertragen, haben aber trotzdem nur eine eingeschränkte Kompensationsfähigkeit, so dass zumindest nach einer gewissen Zeit sich suboptimale Pflege bemerkbar macht. Bereitet man sich aber gewissenhaft vor, wird dem Tier manches Leid erspart und man selbst hat lange Jahre – manchmal lebenslang – Freude an seinem faszinierenden Tier.
Dr. Jutta Donhauser
Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Bingen
www.BIN-TIERARZT.de
www.reptilien-beim-tierarzt.de
kurzgefasst
- Rachitis bezeichnet die Knochenmineralisationsstörung bei Jungtieren
- Wichtigste Ursachen sind fehlerhafte Mineralstoffversorgung und UV-B-Mangel
- Kalzium und Phosphor müssen in der Nahrung in einem bestimmten Verhältnis vorliegen
- Gute Vorkenntnisse helfen, die Gefahr drastisch zu verringern
- Bei Neuzugängen sollte immer eine wiederholte Kotuntersuchung erfolgen
- Symptome sind Apathie, Inappetenz, Knochendeformationen
- Am häufigsten ist die Panzerweiche bei Landschildkröten
- Echsen zeigen s-förmige Wirbelsäulenverkrümmungen und „Gummikiefer“
- Je frühzeitiger eine professionelle Therapie eingeleitet wird, desto schneller die Heilung und desto geringer die Folgeschäden